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Teil 2 - Hermann Brunner-Schwer erzählt in der "Ich"-Form:

Und er erzählt natürlich die historischen Gegebenheiten aus seiner (SABA-) Sicht und mit seinem Wissen. In die einzelnen Geschichten werden jetzt eine Menge zusätzlicher Informationen aus anderen großen Werken glaubwürdiger Autoren eingebaut.

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Januar 1961 - ich war jetzt Chef - mit meinem Bruder - also wir

Im Januar 1961 bezog ich das von meinem Stiefvater geräumte „Allerheiligste", jenes Büro, in dem schon mein Großvater zu seinen Lebzeiten residiert hatte. Von Genugtuung oder Triumphgefühlen konnte keine Rede sein. Die Last der so urplötzlich auf mich zugekommenen Verantwortung wog zu schwer. Ich wußte, daß ich mit meinen gerade dreißig Jahren noch lange nicht ausgelernt hatte und daß von meinem Bruder keine allzugroße Hilfe zu erwarten war. Und daß ich deshalb mit dem Risiko leben mußte, falsche Entscheidungen zu treffen.

Ein neuer Führungsstil war angesagt

Um so wichtiger erschien es mir, den Führungsstil zu ändern, Aufgaben klar zu umreißen, sie zu delegieren und die dafür verantwortlichen Herren der Geschäftsleitung in die Pflicht zu nehmen. Eine solche Strategie setzt allerdings voraus, daß die Betreffenden neben der dafür erforderlichen Qualifikation zur Zusammenarbeit im Team bereit sind und daß sie den Mut haben, eigene Entscheidungen zu treffen, sie durchzusetzen und zu vertreten.

Die Schwierigkeit, einen Mittelweg zu finden

Wenn man andererseits aber zu viel delegiert, läuft man Gefahr, den Überblick zu verlieren. Ebenso kann das Weggeben von Verantwortung als Zeichen der eigenen Schwäche ausgelegt werden. Dabei den richtigen Mittelweg zu finden, die Leinen zu lockern und sie dennoch nicht aus der Hand zu geben, ist sehr schwer. Dies zu beherrschen bedarf Menschenkenntnis und eines feinen Einfühlungsvermögens. Man muß in der Lage sein, sowohl zu motivieren als auch zu kontrollieren.

Das Rechnungswesen war vor langer Zeit stehen geblieben

Das wichtigste Kontrollinstrument, das einer Unternehmensführung zur Verfügung steht, ist und bleibt das Rechnungswesen. Zahlen sind unbestechlich, vorausgesetzt, sie sind aktuell und sie stimmen. Auf diesem Sektor aber haperte es bei SABA. Das System stammte noch aus der Vorkriegszeit und entsprach nicht mehr den inzwischen veränderten Strukturen und Abläufen. Es arbeitete viel zu langsam. Es fehlten viele für die Steuerung eines Unternehmens unerläßliche Voraussetzungen. Das vorhandene Datenmaterial reichte weder für eine in die Tiefe gehende Kostenanalyse aus, noch war es damit möglich, konkrete Pläne oder detaillierte Budgets zu erstellen. So gab es auch keine kurzfristige Erfolgsrechnung über das, was sich während eines Geschäftsjahres innerbetrieblich ereignete. Ob es zu Fehlentwicklungen kam und die Kosten davonzulaufen begannen, erfuhren wir erst, wenn das Schiff bereits aus dem Ruder gelaufen war. Die Manövrierbarkeit eines Industrieunternehmens aber ist so schwerfällig wie die eines Supertankers. Es wieder auf Kurs zu bringen kostet wertvolle Zeit und viel Geld.

Nicht umsonst hatte ich Betriebswirtschaft studiert

Ich mißtraute der Art und Weise, wie wir unsere Fixkosten erfaßten und pauschalierten. Wie das Wort es schon ausdrückt: Die fixen Kosten eines Unternehmens stellen eine feststehende Größe dar. Sie fallen an, gleichgültig, ob die Fabrik mehr oder weniger an Waren produziert. Klar also, daß es in der Kasse klingelt, wenn es gelingt, den Ausstoß bei gleichbleibenden Fixkosten zu erhöhen. Wehe aber, wenn diese Kostenart ihren fixen Charakter verliert, wenn sie außer Kontrolle gerät und proportional zu den direkten Kosten steigt. Dann hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

SABA mußte sich ändern - schnell

Hier war mehr Transparenz nötig. Es mußte eine Kalkulationsmethode gefunden werden, mit der man im voraus die Resultate von Mengeneffekten errechnen und sie mit einer marktorientierten und damit anpassungsfähigen Preispolitik in Einklang bringen konnte.

Es gab also eine Menge zu tun. Der innerbetriebliche Bereich mußte reorganisiert und die aktuelle Kostenentwicklung durch das Einpflanzen feinfühliger Sensoren überwachbar gemacht werden. Ein kompliziertes und zeitraubendes Unterfangen. Und doch war Eile geboten.

Stagnation und Ermüdungserscheinungen an allen Ecken

Die Rundfunkumsätze stagnierten und, was noch bedenklicher war, der Fernsehgerätemarkt zeigte erste Ermüdungserscheinungen. In den meisten Haushalten stand inzwischen eine „Glotze". Doch mit dem Kauf eines neuen, mit einer größeren Bildröhre und mehr Bedienungskomfort ausgestatteten Gerätes, wartete man ab, bis das vieldiskutierte, aber noch immer nicht startbereite Zweite Programm über die Sender ging. Die Lagerbestände bei Industrie und Handel wuchsen, und schon wurde an der Preisfront zunehmend scharf geschossen.

Alfred Liebetrau - ein Glückstreffer

Zum Glück konnte ich bei der Lösung unserer innerbetrieblichen Probleme auf die Mitarbeit eines Mannes zurückgreifen, der sich als ein hervorragender Kenner auf den Gebieten Rechnungswesen, Planung und Organisation erwies: Alfred Liebetrau. Der gebürtige Thüringer hatte die Arbeits- und Lebensumstände in der sowjetisch besetzten Zone nicht mehr ertragen und war mit seiner Familie in den Westen geflüchtet. Im benachbarten Schwenningen fand er Unterschlupf bei einem Uhrenhersteller und machte schon bald auf sich aufmerksam. Wir warben ihn kurzerhand ab.

Ich mußte ihn nicht lange beobachten, um zu erkennen, was für ein hochkarätiger Edelstein uns da in den Schoß gefallen war. Kurzerhand ernannte ich ihn zum persönlichen Referenten des kaufmännischen Geschäftsführers, erteilte ihm weitgehende Vollmachten und beauftragte ihn, das innerbetriebliche Reformwerk auf den Weg zu bringen. Der ehrgeizige Liebetrau brach alle Widerstände. Er arbeitete wie ein Besessener und erreichte das Ziel in atemberaubendem Tempo.

Die eigentliche Arbeit fing jetzt erst an

Mit dem beruhigenden Gefühl, einen zuverlässigen Statthalter auf der kaufmännischen Brücke zu wissen, beschäftigte ich mich immer intensiver mit den Ereignissen auf dem Markt. Die dazu nötigen Informationen holte ich mir aus erster Hand. Das aber hieß wochen- und monatelanges Reisen. So manche Ochsentour war fällig. Ich besuchte unsere Vertretungen im In- und Ausland, vor allem aber unzählige Groß- und Einzelhändler. Ein Mosaikstein nach dem anderen fügte sich zusammen, bis sich endlich ein deutliches Bild des Marktes vor mir abzuzeichnen begann. Und dieses Bild machte einen höchst unerfreulichen Eindruck.

Frankfurt 1958 - Selbst Fachhändler mischten mit

Mir gingen die Augen auf - der Markt war bereits kaputt

Von einer intakten Marktordnung konnte keine Rede mehr sein. Die klassischen Fachhändler bekamen es mit Außenseitern zu tun, mit Discountern, Warenhäusern, Supermärkten und Rucksackgrossisten.

Hinz und Kunz wollten sich in der Sonne des Fernsehgerätegeschäftes baden, kaum jemand hielt sich noch an die von der Industrie vorgeschriebenen Preise und Konditionen.
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Wildwestmanieren rissen ein.

Die bedrohlichen Lagerbestände verleiteten viele Hersteller, auf die Interessen des Fachhandels keine Rücksicht mehr zu nehmen. So kam es, daß auch Pseudohändler, die weder über Ladengeschäft, Ausstellungsräume, Fachleute oder Reparaturwerkstatt verfügten, Geräte einkaufen konnten, soviel sie nur wollten. Und das zu den gleichen Konditionen, wie sie der mit hohen Raum-, Personal- und Service-Kosten belastete Fachhandel für sich in Anspruch nahm.

Die Folgen waren verheerend.

Der mit sehr viel weniger Aufwand arbeitende „graue" Handel gab einen Teil des ihm zugestandenden Rabattes in Form von Preisnachlässen an den Käufer weiter und feierte sich als Preisbrecher zum Wohle des Verbrauchers. Die Fachhändler wiederum mußten reagieren, wollten sie nicht auf ihrer Ware sitzenbleiben. Also senkten auch sie ihre Preise. Das aber schlug wieder auf die Lieferanten zurück. Die in einem Verband organisierten Rundfunk- und Fernsehfachhändler lasteten sowohl der Industrie als auch dem Großhandel, der ebenfalls die Discounter belieferte, die Schuld an der Misere an. Sie verlangten kathegorisch die volle Gutschrift der Verluste, die ihnen durch den Preisverhau entstanden waren.

Und dann auch noch der "Josef Neckermann Fernseher"

Die Turbulenzen nahmen zu, als Josef Neckermann es möglich machte und in seinem Versandhaus-Katalog besonders billige Fernsehapparate unter eigenem Namen anbot. Gerhard Boehmes alteingesessene Firma Körting baute diese Geräte, nachdem es ihrem Chef gelungen war, Neckermann zu einer langfristigen Abnahmegarantie zu verpflichten. Und die war auch nötig, denn als Lieferant eines den Fachhandel provozierenden Versandes vergab sich Körting jede Chance, auch nur ein einziges Gerät über die traditionellen Absatzkanäle an den Mann zu bringen.

Körting stand vermutlich unter gewaltigem Druck

Gerhard Boehme war ein eigenwilliger Unternehmer. Ich schätzte ihn persönlich sehr, doch natürlich bewegte er sich auf einem riskanten Pfad. Ich hätte die totale Bindung an einen einzigen Abnehmer nie gewagt. Das Schicksal des eigenen Unternehmens an das eines anderen zu binden, kann zu einer tödlichen Fessel werden.

Wie vorausgesagt - die tödliche Monokultur war sein Ende

Und so ist es leider auch geschehen: Viele Jahre ging die Ehe gut, aber als Neckermann ins Schleudern kam und der Dressurreiter schließlich die Zügel aus der Hand geben mußte, stand Körting ohne Schirm im Regen. Zum Glück hat Gerhard Boehme die Tragödie nicht mehr erlebt. Seine Söhne versuchten noch das Ruder herumzureißen, doch der Handel zeigte die kalte Schulter. Das Unternehmen brach zusammen.

Die Warenhäuser wollten mitmischen im Preiskrieg

Neckermanns damaliger Vorstoß in die Unterhaltungselektronik rief die Warenhäuser auf den Plan. Dem Umsatzriesen, der im Sog des Wirtschaftswunders immer mächtiger geworden war, haftete noch immer der böse Ruf des „Billigen Jakob" an. Erstklassige Markenartikel fehlten in seinem breitgestreuten Warensortiment. So sehr die Kaufhausbosse auch versuchten, ihr Image durch den Handel mit höherwertigen Produkten aufzupolieren, sie kamen an diese Artikel nicht heran.

... und mit allen Tricks den Lieferbeukott unterminieren

Die Hersteller weigerten sich zu liefern. Dies tat auch die deutsche Rundfunk- und Fernsehindustrie, und das aus gutem Grund. Denn eine Aufhebung der über die Warenhäuser verhängten Blockade wäre auf den erbitterten Widerstand des Fachhandels gestoßen. Doch die Einkäufer von Hertie, Kaufhof oder Horten ließen nicht locker. Sie bemerkten natürlich, daß Fabriken wie Großhandel auf einem Berg unverkaufter Fernseher saßen, und witterten jetzt ihre Chance. Nicht wenige der mit Waren vollgestopften Grossisten waren inzwischen schwach geworden auf der Brust. Und bei diesen klopfte man an, sehr diskret und mit einem Barscheck in der Hand. Der Damm war gebrochen. Die Warenhäuser schlugen los und boten in groß aufgemachten Zeitungsinseraten Fernsehapparate aller Marken zu Tiefstpreisen an.

Der Fachhandel schrie auf.

Es kam zu turbulenten Konferenzen, die Industrie mußte sich wüste Beschimpfungen gefallen lassen. Tausende von Fachhändlern fühlten sich in ihrer Existenz bedroht, sahen sich einem Kampf mit ungleichen Waffen gegenüber. Der Karren steckte im Dreck, und das um so tiefer, weil die ausgebrochene Preisschlacht auch das Publikum verunsicherte. Man erwartete jetzt Preissenkungen auf breiter Front und hielt sich schon deshalb mit dem Kauf eines neuen Gerätes zurück. Die Branche schlitterte in eine schwere Krise.

Anmerkung : Wir wohnten von 1960 bis 1965 in der Wiesbadener Innenstadt und ich schlich von Radioladen zu Radioladen und knüpfte Kontake. Mit einem wurde es sogar eine Freundschaft. Der kleine Laden hieß Radio Worscheck in der Wiesbadener Moritzstraße. Dort bekam ich hautnah mit, daß so gut wie alle kleinen Radio- und Fernsehläden über Jahre am Existenzminimum herum schlidderten. Herr Worscheck konnte sich gerade mal einen Farbfernseher im Schaufenster und einen zweiten Farbfernseher drinnen im Laden leisten, also durchfinanzieren. Bei den Telefonaten unter Kollegen in Mainz oder Frankfurt wurde oft verglichen: Wieviele Farbfernsehr hast denn Du stehen ? Wieviele kannst Du Dir leisten ? Am Ende war diese "Zahl" der Vorführ-Farbfernseher (für mich) das Maß der Liquidität, welches ich erst viel viel später so richtig verstand.

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In Villingen leuchteten alle roten Lampen auf.

Denn auch SABAs Kundschaft drohte mit Boykott. Es blieb uns gar nichts anderes übrig, als die bei den Warenhäusern aufgetauchten Geräte auf schnellstem Weg herauszukaufen. Eine recht abenteuerliche und teure Übung. Aus Mitarbeitern des Außendienstes bildeten wir Stoßtrupps. Sie schwärmten auf die Warenhäuser aus und kauften die Regale leer. Weil jedes unserer Geräte mit Fabriknummern gekennzeichnet war, die in die Chassis eingestanzt waren und dieselben Nummern auch auf den Lieferscheinen oder Rechnungen erschienen, konnten wir sehr schnell die Quellen aufspüren, aus denen sich die Warenhäuser bedient hatten.

Unsere Grossisten waren uns untreu geworden

Tatsächlich handelte es sich um vertragsuntreu gewordene Grossisten. Sie bekamen es nicht nur mit SABAs Rechtsabteilung zu tun, ich veranlaßte auch den sofortigen Abbruch der Geschäftsbeziehungen. Obwohl sich der Sturm allmählich wieder legte, wäre 1961 für das Unternehmen zu einem verlustreichen Jahr geworden. Hätte es da nicht eine Idee gegeben, die SABA zu einer unverhofften Sonderstellung auf dem Fernsehmarkt verhalf.

Eigentlich hatten wir noch gar keine Farbe bei uns, aber ....

Anläßlich eines früheren Besuches bei PHILCO, einem damals bedeutenden Hersteller der amerikanischen Fernsehgeräte-Industrie, hatte man meinem Bruder und mir neuartige, gerade in der Labor-Erprobung befindliche Farbfernsehröhren gezeigt. Von der „Apple Tube", so nannten sie das Ding, versprach man sich eine sichtbare Verbesserung der Farbwiedergabe. Verglichen mit dem, was wir in den USA an farbigen Fernsehbildern zu sehen bekamen, hätte die neue Röhre tatsächlich einen Fortschritt dargestellt, wären da nicht häßlich schwarze Streifen gewesen. Da sich mehrere der mit dieser neuen Röhre ausgestatteten Chassis in einem Dauertest befanden, waren einige von ihnen zum Schutz gegen Verunreinigungen mit glasklaren Plastikfolien abgedeckt. Eigenartigerweise zeigten diese Geräte die Streifen nicht.

SABAVision - der Trick mit der Plastikfolie

Ich machte mir darüber keine weiteren Gedanken, um so mehr aber einer von SABAs Mitarbeitern, dem ich von meiner Beobachtung erzählt hatte. Der Mann hieß Hansrichard Schulz, Doktor der Physik, ein junger, hochbegabter Wissenschaftler, bei SABA mit Aufgaben der Vorentwicklung beschäftigt. Monate vergingen, bis Schulz eines Tages mit einem Bündel von Berechnungen in mein Büro kam. Die Geschichte von der „Apple Tube" hatte ihn nicht mehr losgelassen. Er hatte wissen wollen, warum jene Plastiküberzüge die Bildstreifen zum Verschwinden brachten, und, falls ihm der Nachweis für die Ursache gelänge, ein Verfahren finden wollen, mit dem er dem Zeilenraster unserer schwarz-weißen Fernsehbilder auf den Leib rücken konnte.

Mir war das alles erst mal zu hoch

Zunächst verstand ich nur Bahnhof. Meine physikalischen Schulkenntnisse versagten kläglich. Doch Schulz war ein geduldiger Mann. Er verfügte auch über pädagogische Fähigkeiten. Nicht umsonst ist er heute Professor an einer Technischen Hochschule. Und allmählich begann ich zu begreifen.
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So erklärt es der Physiker

Betrachtet man eine Plastikfolie unter dem Mikroskop, so erkennt man häufig rasterähnliche Strukturen, die während des Produktionsvorgangs entstanden sind. Ein Physiker, der sich mit optischen Phänomen beschäftigt, weiß, daß sich das Licht an solchen Rastern bricht. Von dieser Erkenntnis war Schulz ausgegangen. Er hatte begonnen, den Lichtbrechungsvorgang mit Hilfe komplizierter mathematischer Berechnungen auf einer mit feinsten Rillen versehenen Plastikscheibe zu steuern. Nach vielen Versuchen war er ans Ziel gekommen.

Die Lösung war eine glasähnliche Plastikhaut, die er wie eine Haftschale an der Vorderseite der Fernsehröhre anbrachte. Das Ganze erforderte viel Präzision. Zehn waagerechte, in ungleichmäßigen Abständen über jeweils einen Millimeter verteilte Rillen mußten wie bei einer Langspielplatte in die Plastikhaut eingepreßt werden. Die Rillentiefe betrug ganze Elftausendstel eines Millimeters. Durch die Anordnung dieser Rillen verbreiterten sich die Zeilen des Fernsehbildes, und zwar so, daß je zwei benachbarte Zeilen den Bildinhalt zum Ausfüllen der zwischen ihnen liegenden Dunkelstreifen lieferten.

Super - die Bildröhre mit der Plastikhaut

In seinem Labor demonstrierte Schulz seine Erfindung an einem Gerät, dessen Bildröhre er zur Hälfte mit der neuartigen Plastikhaut überzogen hatte. Der Effekt war verblüffend. Während auf der einen Seite die altbekannte Rasterstruktur erschien, fehlte sie auf der anderen Seite des Bildes völlig. Aber nicht nur das, auch das störende Zwischenzeilen-Flimmern verschwand genauso wie die Zeilenwanderung, die manchmal bei einem sich senkrecht bewegenden Gegenstand auftrat.

Eine einmalige Chance - mal den Max Grundig auszutricksen

Für mich gab es keine Zweifel: Dieses System würde SABA ein unschätzbares Verkaufsargument in die Hand geben und uns zu einem großen technischen Vorsprung vor der Konkurrenz verhelfen. Während sich die Patent-Abteilung um eine weltweite Anmeldung der Schutzrechte kümmerte, ging man im Werk mit Volldampf daran, die für die Herstellung erforderlichen Werkzeuge und Vorrichtungen zu bauen. Strengste Geheimhaltung war befohlen, denn ich plante einen Überraschungscoup. Und der gelang.

Juli 1961 - „SABAVISION, das zeilenfreie Fernsehen"

Am 4. Juli 1961, einige Wochen vor dem Beginn der Berliner Funkausstellung, veranstalteten wir zeitgleich in Hamburg, Köln, Berlin, Frankfurt, Stuttgart und München drehbuchartig vorbereitete Pressekonferenzen, an denen die Journalisten der größten Tageszeitungen und Illustrierten teilnahmen. Schon wenige Tage zuvor drehte ein Team des Südwestfunks einen Sechsminutenfilm über „SABAVISION, das zeilenfreie Fernsehen". Der Streifen wurde am Abend des 4. Juli nicht nur in allen Regionalprogrammen gesendet, die Fernsehleute erachteten unsere Neuigkeit für so spektakulär, daß sie den Film auch in der Tagesschau zeigten. Über zehn Millionen Menschen sahen zu - und unsere konsternierten Konkurrenten ebenfalls.

Wir waren in der Presse die Stars

Die Reaktion war überwältigend. Die Presse lobte die Neuheit in höchsten Tönen. Selbst das so kritische Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" zeigte sich angetan und schrieb:
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  • „Die Bildschirme der Fernsehgeräte, die im Vorführraum der Hamburger SABA-Vertretung standen, waren allesamt durch einen schmalen schwarzen Klebestreifen halbiert.
    Als die Apparate eingeschaltet wurden, erschien - das Fernsehen sendete gerade die Tagesschau - der kahle Kopf des Eichmann-Prozeßberichters Dr. Joachim Besser auf der Mattscheibe, und die Besucher beobachteten ein merkwürdiges Phänomen.
    Die rechte Schädelhälfte des Reporters bot sich den Beschauern als gewöhnliches Fernsehbild dar, bei dem der typische dunkle Zeilenraster, die sogenannte Fernseh-Jalousie, deutlich auszumachen war. Die linke Schädelhälfte Bessers aber schimmerte wie ein Mattglanzfoto - gänzlich frei von den dunklen Streifen, die bislang jedes Fernsehbild auf den deutschen Bildschirmen zieren."

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Unglaublich - ein Jahr ohne Sommerflaute

Die in großen Mengen vorfabrizierten SABAVisions-Geräte wurden nach der Kampagne sofort an den Handel ausgeliefert. Und trotz der üblichen Sommerflaute machten wir glänzende Umsätze. Das Publikum lief in die Fachgeschäfte, um die von den Zeilen befreiten Fernsehbilder zu sehen. Viele kauften auf der Stelle, die Händler orderten nach. Wir bereiteten uns auf eine stürmische Funkausstellung vor. Sie begann am 25. August 1961 unter dem Berliner Funkturm, nur zwölf Tage nach der Errichtung der Berliner Mauer.

Die Berliner Mauer war gerade 12 Tage alt

Doch würde die Angst vor einer erneuten Verschärfung der politischen Lage nicht viele Händler davon abhalten, die Reise nach Berlin anzutreten? Zum Glück war dem nicht so. Jetzt erst recht, hieß die Parole. Berlin braucht diese bedeutende Ausstellung gerade in dieser für die Stadt so prekären Lage. Die Hersteller handelten in seltener Solidarität, und alle gingen hin.

Die Mauer - eine bedrückende Erfahrung

Einige Tage vor Ausstellungsbeginn landete ich auf dem Flughafen Tempelhof. Bevor ich mein Hotel bezog, bat ich den Taxifahrer, mich zum Brandenburger Tor zu bringen. Ich wollte diese verdammten Barrieren mit meinen eigenen Augen sehen. Hunderte von Westberlinern standen davor. Es herrschte eine merkwürdige Stille. Mit versteinerten Gesichtern blickten sie hinüber, kein lautes Wort. Sie wirkten hilflos in ihrer verzweifelten Wut. Erst jetzt begriff ich das ganze Ausmaß dieser menschlichen Tragödie. Ich begriff aber auch, daß Gaffer hier nichts zu suchen hatten. Ich schämte mich und ging leise davon.

Die Funkausstellung 1961 - für uns ein großer Erfolg

Trotzdem wurde die Funkausstellung zu einem großen Erfolg. Die Westberliner dankten den Ausstellern auf ihre Weise. Sie kamen in Scharen und bevölkerten die Stände von morgens bis abends. Im Schöneberger Rathaus gab Willy Brandt einen Empfang für die Repräsentanten der Industrie. Mit bewegten Worten honorierte er unsere Anwesenheit in dieser schweren Stunde. Seine von allen Sendern übertragene Eröffnungsrede geriet zu einem hinreißenden Bekenntnis zur Freiheit und zum Selbstbestimmungsrecht aller Menschen. Ich gehörte nie zu den politischen Freunden dieses Mannes. Doch damals habe ich sein Standvermögen und seinen Mut bewundert.

Die Konkurrenz kochte vor Wut.

Erfolg - das konnte vor allem auf die SABA-Fahnen geschrieben werden. SABAVision war das Tagesgespräch auf dieser Messe und der große Renner zugleich. Die Konkurrenz kochte vor Wut. Sie versuchte, das zeilenfreie Fernsehen herunterzuspielen und unser System als einen technisch fragwürdigen Verkaufsgag darzustellen. Einige schossen Störfeuer mit einer altbekannten elektronischen Methode, dem sogenannten „Wobbeln". Tatsächlich konnte man auch damit die Zeilen zum Verschwinden bringen, die Kosten lagen aber um ein Vielfaches über dem Aufwand, der bei der Produktion einer SABAvisionsscheibe entstand. Unser Verfahren aber genoß Patentschutz. Seine Anwendung durch andere wäre also nur mit unserer Zustimmung möglich gewesen. Und die gaben wir nicht.

Anmerkung : Bei aller Freude über den Erfolg, HBS hatte "es" nicht bedacht: So machte man sich Feinde. Und die warteten nur darauf, es SABA zurückzuzahlen. Denn Neid machte schon immer erfinderisch und nachtragend. -

In der Chronik des Buches auch nicht aufgetaucht war nämlich ein "Event 1953", als SABA die Preise seiner Fernseher drastisch reduzierte, warum auch  immer. HBS war damals in keiner leitenden Position und/oder hat es vermutlich vergessen oder gar nicht mitbekommen.

Insbesondere der etwa 20 Jahre ältere Max Grundig hat es nicht vergessen. Telefunken konnte sich nicht wehren, denn die standen selbst über Jahrzehnte mit dem Rücken zur Wand. SEL verkaufte die hundertfache oder gar tausendfache Zahl an Bildröhren als an eigenen Fernsehern und Philips hatte das weltweite Bildröhren-Geschäft im Fokus. Da war Deutschland zu der Zeit ein Nebenschauplatz. Aber sie alle haben es nicht vergessen, das (für sie) vermasselte Jahr 1961.

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Bei uns war sehr viel los auf dem Messestand

Es war auch sonst eine Menge los auf dem SABA-Stand. Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard und Willy Brandt statteten uns einen Besuch ab, prominente Journalisten holten sich Interviews, und Fernsehstar Robert Lembke kam fast täglich vorbei zu einem Kaffee und einem Gläschen Schwarzwälder Kirschwasser. Wir veranstalteten Autogrammstunden mit Fritz Walter, Bubi Scholz und dem unvergessenen Formel 1-Piloten Wolfgang Graf Berghe von Trips. Der Andrang nahm teilweise so beängstigende Formen an, daß der Ordnungsdienst zu Hilfe eilen mußte.

SABA hatte gewaltig aufgeholt - jedenfalls im Moment

Die wichtigsten Besucher aber waren die Fachhändler aus dem In-und Ausland, die uns die SABAVisionsgeräte förmlich aus den Händen rissen. Mit vollen Auftragsbüchern und einer bis zum Jahresende ausverkauften Produktion kehrte die SABA-Mannschaft wieder in den Schwarzwald zurück. SABA hatte gewaltig aufgeholt, Marktanteile dazugewonnen und zählte jetzt auch auf dem wichtigen Fernsehgeräte-Sektor zu den größten Anbietern. Trotzdem, zur Euphorie gab es keinen Anlaß. Ein technischer Vorsprung währt in der Regel nur eine kurze Zeit.

Das grausame Spiel des „Shake-Out" begann ....

Der Wettbewerb nahm immer beängstigendere Formen an. Das hochgelobte freie Spiel der Kräfte artete aus. Die Großen begannen, den Kleineren ganz gezielt an den Kragen zu gehen, sie aus dem Markt zu verdrängen, um am Ende den Kuchen unter sich zu verteilen. Im amerikanischen Business-Slang spricht man vom „Shake-Out", ein treffendes Wort für dieses grausame Spiel.

Grundig prügelte die Preise in den Keller.

Max Grundigs Unternehmen wies bereits konzernähnliche Konturen auf. Er stampfte eine Fabrik nach der anderen aus dem Boden. Er schluckte Firmen wie Lumophon oder Tonfunk und überschwemmte den Markt mit riesigen Stückzahlen. Grundig prügelte die Preise in den Keller. Das gab zwar niedrigere Stückgewinne, doch was soll's, die Menge macht's. Die großen Konzerne wie Philips, AEG-Telefunken und Siemens hielten dagegen. Sie nahmen rote Zahlen beim Gerätegeschäft in Kauf und kompensierten diese Verluste mit den Gewinnen ihrer anderen Geschäftsbereiche. Das konnte auf die Dauer nicht gut gehen.

Den Familienbetrieben ging die Luft aus

Firmen wie SABA fehlte ganz einfach die wirtschaftliche Substanz und das finanzielle Polster, um diesen kräftezehrenden Kampf erfolgreich durchzustehen. Erich Graetz war einer der ersten, die das Handtuch warfen. Er verkaufte an den amerikanischen Giganten ITT. Gerhard Kubetschek kam als nächster dran, seine Firmen Kuba und Imperial gingen in die Hände von General Electric über. Loewe-Opta stellte sich zwar als ein noch unabhängiges Privatunternehmen dar, in Wirklichkeit befanden sich die Geschäftsanteile längst im Besitz von Philips.

Wir hatten eine Runde gewonnen, aber nur eine.

SABAVision bedeutete zwar eine gewonnene Runde, und wir freuten uns, der aufsässigen Konkurrenz ein Schnippchen geschlagen zu haben. Doch es blieb keine Zeit für Illusionen. Die durch das gedrückte Preisniveau mager gewordenen Gewinne reichten nicht aus, um SABAs Substanz so deftig aufzufüttern, daß man den offenen Schlagabtausch hätte wagen können. Grundig und seinesgleichen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, dazu fehlte uns einfach die wirtschaftliche Basis.

Schnellstens Alternativen oder Nischen suchen

Welche Alternativen blieben übrig? Nicht viele. Schrumpfen, zum Beispiel, sich aus der Schußlinie zurückziehen und in die wenigen, von den Giganten vernachlässigten Marktnischen flüchten.

Erwin Braun versuchte so etwas.

Er steckte seine Rundfunk- und Fernsehgeräte in avantgardistisch gestaltete Gehäuse und hoffte dabei auf all jene Käufer, die dem damals beliebten „Gelsenkirchener Barock" den Rücken zu kehren begannen. Braun erntete viel Lob. Das Unternehmen galt als Wegbereiter des modernen Industrie-designs. Doch was nützte dies alles? Der Kreis der Braun-Fans blieb so exklusiv, wie es die Erzeugnisse waren. Die Umsätze stagnierten auf einem so niedrigen Niveau, daß sich eine Eigenproduktion nicht einmal lohnte.

Übrigens, eine Zeitlang fertigte SABA für Braun Fernsehgeräte. Wir bauten die Chassis, Braun stellte lediglich die Gehäuse bei. Die Produktion des Braunschen Jahresbedarfs erledigten wir in einer Woche.

Wir trafen uns oft und diskutierten die Chancen

Ich traf mich oft mit Erwin Braun, und immer genoß ich die Gespräche mit diesem sensiblen, hochintelligenten Mann. Beide standen wir vor demselben Problem. Wie kann ein großgewordenes Familienunternehmen seine Eigenständigkeit im Umfeld eines immer erdrückender werdenden Wettbewerbs verteidigen? Erwin Braun gab sich da sehr skeptisch, obwohl er von der Unterhaltungselektronik gar nicht abhängig war. Sein Unternehmen fertigte elektrische Rasierapparate und war auf diesem Sektor die unbestrittene Nummer Eins. Als er seine Firma dennoch dem amerikanischen Rasierklingenkönig Gillette übergab, rätselte man über die Hintergründe. Mich überraschte seine Entscheidung nicht.

Zwei drastische Beispiele

Ich nahm die Lage bei anderen technischen Gebrauchsgütern unter die Lupe. Wie hielten sich dort Privatunternehmen im Kampf gegen die Großen? Beispiel: die Automobilindustrie. Als Carl Borgward die Tore seiner Bremer Fabrik schließen mußte, verschwand die letzte Automarke vom Markt, die sich noch in der Hand eines einzelnen befunden hatte. Seine Firma ging in Konkurs. Nur Porsche überlebte, weil die Nachfahren des genialen Volkswagen-Konstrukteurs weise genug waren, sich nicht auf das Mengengeschäft einzulassen. Stattdessen konzentrierten sie sich auf eine Marktnische, den Sportwagenbau. Ein zu kleines Geschäft für die umsatzhungrigen Automobil-Giganten. Ein ähnliches Bild auch bei den Herstellern von Haushaltsgeräten. Auch hier befand sich der „Shake Out" in vollem Gange. Man denke nur an SABAs Bauchlandung im Kühlschrankgeschäft.

Anmerkung : Bei Borgward war es das Eigenkapital, das nicht mitgewachsen war und sein Ego. Und die Banken wollten auf einmal Einfluß haben, und nicht nur das Risiko tragen. Einfluß von Banken ? Das wollte der alte Borgward aber nicht. Und schon war der Geldhahn zu.

Max Grundig hatte nur die besseren Kontakte (nach oben - wo immer "oben" ist) und wohlgesonnene "Fürsprecher" noch weiter oben und später auch die besseren Finanzmanager und dann auch noch seine eigene Bank.

Übrigens hatte auch Erwin Braun mal mit seiner Waschmaschine - oder war es auch ein Kühlschrank - eine Bauchlandung hingelegt.

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Wir begannen Denkspiele

Einer unserer Direktoren machte mir den Vorschlag, aus der Massenproduktion auszusteigen und nur noch wenige, besonders luxuriöse Modelle für eine besonders anspruchsvolle Käuferschicht herzustellen. Er sah die zukünftige SABA in der Rolle eines Rolls-Royce der Unterhaltungselektronik. Doch was hätte ein solcher Schritt bedeutet? Eine Amputation an Haupt und Gliedern, die Entlassung des größten Teils der inzwischen auf viertausendfünfhundert angewachsenen Belegschaft, Verkauf der meisten Fabrikgebäude und Produktionseinrichtungen, falls sich dafür überhaupt ein Interessent gefunden hätte. Also nichts anderes eigentlich als ein Selbstmord auf Raten.

SABA an die Börse bringen ?

Ich überlegte mir auch die Möglichkeit, SABA in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, das Unternehmen an die Börse zu bringen, um auf diesem Weg das Eigenkapital nachhaltig aufzustocken. Ich sprach mit Bänkern darüber und erhielt eine Abfuhr. SABAs Bilanzbild entspräche nicht oder zumindest noch nicht dem Aussehen, das man sich für eine erfolgreiche Börseneinführung wünsche. Nun gut, ich schob auch diesen Gedanken wieder vom Tisch. Er gefiel mir eh nicht sonderlich. SABA-Aktien in den Händen von Anlageberatern und Spekulanten, eine unangenehme Perspektive.

Gespräche mit Philips

Was also blieb noch übrig? Kooperation zum Beispiel, sich an einen der Großen anlehnen, Schutz unter einem Konzerndach suchen. Umworben wurden wir schon seit längerer Zeit. Philips-Chef Le Clercq lud mich nach Eindhoven ein. Bei einem fulminanten Mittagessen versicherte mir der mit allen Wassern gewaschene Holländer seine uneingeschränkte Sympathie für SABA. Der Mann war viel zu klug, um mit der Tür ins Haus zu fallen. Doch zwischen den Zeilen gab er mir zu verstehen, daß er zu jeder Art von „Hilfeleistung" bereit sei, falls SABAs Existenz irgendwann einmal bedroht sein sollte.

Eines Tages rief mich Max Grundig höchstpersönlich an.

Er wolle sich gerne mit mir einmal treffen, über ein Wochenende auf seinem Gut Hohenburg bei Lenggries. Natürlich fuhr ich hin, schon aus reiner Neugierde. Als ich den Landsitz sah, verschlug es mir die Sprache. Da stand ein richtiges Schloß, dahinter ein mächtiger Gutshof. Hohenburg befand sich früher einmal im Besitz des Großherzogs von Luxemburg. Zwei Millionen Quadratmeter Land gehörten dazu.

Was wollte Max Grundig wirklich ?

Max Grundig gab sich sehr liebenswürdig, und doch herrschte eine eigenartige, fast gespannte Atmosphäre. Mit sichtlichem Stolz führte er mich durch seine Wochenend-Residenz, nicht ohne immer wieder zu erwähnen, was er da so alles investieren mußte, um das Anwesen auf Vordermann zu bringen. Er sprach unentwegt.

„Meine erste Million habe ich schon vor 1945 gemacht. Was da so alles über mich dahergeredet wird, mich als einen skrupellosen Neureichen abzustempeln, das ist doch alles Humbug." Während ich geduldig seinen Monologen zuhörte, begann ich über diesen Mann nachzudenken. Offensichtlich litt Max Grundig noch immer unter einem fast krankhaften Geltungskomplex. Seinen Reichtum vorzuzeigen, das paßte so gar nicht zu diesem eher verschlossenen Menschen. Grundigs inzwischen von aller Welt unbestrittener Erfolg sprach doch für sich. Er hatte es doch gar nicht mehr nötig, mit seinen Besitztümern und seiner Marktmacht zu prahlen.

Der Max beim Vesper in seiner Bauernstube

So richtig aus sich heraus ging der Industrielle erst beim abendlichen Vesper in seiner Bauernstube. Hausgemachtes wurde aufgetischt, deftige Würste, Schinken und Speck, dazu Hausbrot und Butter. Alles Erzeugnisse aus Grundigs eigener Landwirtschaft. Ein alter Freund saß mit am Tisch. Die beiden sprachen von früheren Zeiten. Endlich schien sich Grundig wohlzufühlen.

Er hatten den zur Zeit größten Fernseher Deutschlands

Er lachte und erzählte Anekdoten. Dann ging es in den Salon. Eingerichtet ä la Chippendale, alles nur vom Feinsten. Anneliese Rothenberger hätte sich da wohlgefühlt. Vor einer Sitzgarnitur stand eine monströse Truhe. In ihr war so ziemlich alles eingebaut, was Grundig damals produzierte. In der Mitte des wie ein Altar der modernen Unterhaltungselektronik wirkenden Möbelstücks befand sich ein überdimensionaler Bildschirm. Das Ding mußte aus Amerika angeliefert worden sein, denn Bildröhren dieser Größe gab es damals in Europa noch nicht. Der Hausherr schaltete das Gerät ein, natürlich per Fernsteuerung vom Sessel aus. Dann schimpfte er über das miese, geschäftsschädigende Programm, und wenige Minuten später nickte er ein. Der Abend war gelaufen.

Grundigs Ängste und Visionen

Am nächsten Tag ging es dann doch noch ans Eingemachte, kurz bevor ich meine Heimreise antrat. Max Grundig erging sich in Zukunftsvisionen. Er warnte vor der Macht der Konzerne, vor der unmittelbar bevorstehenden japanischen Invasion. Ein Zusammenschluß der noch unabhängigen deutschen Unternehmen sei jetzt das Gebot der Stunde. Was für eine geballte Kraft könnte man gemeinsam mobilisieren.

„Denken Sie doch nur an einen zentral gesteuerten Einkauf, mein lieber Brunner-Schwer, ich, Nordmende und Sie, wir könnten traumhafte Konditionen aushandeln und unsere Lieferanten das Fürchten lehren. Und welche Rationalisierungseffekte bei der Fertigung wären möglich, der eine baut nur noch Fernsehgeräte für sich und seine Partner, die anderen die Radios, die Tonbandgeräte und so weiter und so fort. Lassen Sie sich das mal durch den Kopf gehen, ich bin da sehr offen".

Das Gefühl, von einem Hai gefressen zu werden

In den Tagen darauf begann ich zu grübeln. Irgendwo hatte Grundig ja recht. Doch ganz abgesehen vom Veto der Berliner Kartellwächter, wie könnte denn eine Union dieser Art in der Praxis funktionieren? Absichtserklärungen oder noch so wohlgemeinte Kooperationsverträge würden den bei einer solchen Konstellation unvermeidlichen Friktionen doch nicht standhalten können. Es sei denn, es käme auch zu einer finanziellen Verflechtung der an einem Deal dieser Art beteiligten Unternehmen. Und genau das war es, was Max Grundig im Schilde führte, aber nicht zur Sprache brachte. Er, als der mit Abstand stärkste, hätte den Ton angegeben. Weder Nordmende noch SABA wären in der Lage gewesen, die für eine Parität erforderlichen Mittel aufzubringen. Schade, eine vernünftige Idee scheiterte an der Furcht, von einem Hai gefressen zu werden.

Die Geier - oder die Freier aus aller Welt

SABAs Freier kamen aber nicht nur aus Europa. Die Amerikaner klopften an, RCA und Philco schickten Liebesbriefe in den Black Forest. Für ein europäisches Engagement sprachen gewichtige Gründe. Auf dem alten Kontinent zeichneten sich die Konturen eines gemeinsamen Marktes immer deutlicher ab, eines Marktes von beinahe amerikanischen Dimensionen. Außerdem stand dort das Farbfernsehen vor der Tür, in der Bundesrepublik rechnete man mit 1967 als dem Startjahr in die farbige Zukunft. Da wollte man schon gern mitmischen. Allerdings, in den USA fabrizierte Colorgeräte waren schon deshalb nicht exportfähig, weil sich die Europäer für unterschiedliche Normen entschieden hatten. Also mußte man sich eben drüben einkaufen, „aquisitions" machen, „no problem" beim damaligen Dollarkurs von 4,20 DM.

Eigentlich war nur SABA noch "zu haben"

Das viel größere Problem stellte sich aber bei der Frage, wer denn überhaupt noch zu haben war. Die meisten der namhaften europäischen Marken befanden sich bereits in festen Händen. Nur wenige, wie SABA zum Beispiel, standen auf der Liste der bis dahin nicht schon von irgendeinem Konzern vereinnahmten Unternehmen.

Die amerikanische Methode der plumpen Aquisition

Da SABA inzwischen auch in den USA Fuß gefaßt hatte und dort ein paar tausend Radios pro Jahr verkaufen konnte, flog ich jetzt öfter über den großen Teich. Eine dieser Händlerreisen verband ich mit einem Besuch bei Philco und RCA. Ich wollte nicht unfreundlich sein und deren Einladung zu einem Gespräch kurzerhand ablehnen.

Während Philco-Chef Williams gleich zur Sache ging und mich unverblümt fragte, wieviel Geld er beim Kauf von SABA anzulegen habe, ging man bei RCA zwar behutsamer vor, doch auch hier klopfte man hörbar auf den Busch. Mit der lauwarmen Versicherung, meine Mitgesellschafter konsultieren zu müssen, bevor überhaupt an die Aufnahme von ernsthaften Verhandlungen gedacht werden könnte, zog ich mich vorsichtig aus der amerikanischen Arena zurück. Mir mißfiel ganz einfach die hemdsärmelige Art und Weise, wie die Amerikaner ihre Kaufgelüste präsentierten.

In Amerika gibt es weder Tradition noch ......

Daß Firmen ihre Besitzer wechseln, war und ist für die amerikanische Business-Welt ein selbstverständlicher Akt des geschäftlichen Alltags. Der überwiegende Teil derer, die ein Unternehmen gründen, beginnt dieses Wagnis in der Hoffnung, sich einen möglichst guten Namen zu machen und diesen noch zu seinen Lebzeiten versilbern zu können. Tradition, Gefühle oder soziales Verantwortungsbewußtsein sind dort kaum Attribute, die ins Gewicht fallen. Sie spielen deshalb auch beim Übernahme-Poker weder auf der einen noch auf der anderen Seite des Verhandlungstisches eine Rolle.

Es fing an, das Strampeln gegen die Krise oder die Krisen.
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