Philips »Kontakte« 52 / Dezember 1980
25 Jahre Philips Forschungslaboratorium Aachen
Kurzfassung des Referates von Prof. Dr. E. Kauer, Direktor des Forschungslaboratoriums Aachen der Philips GmbH, gehalten während einer Pressekonferenz aus Anlaß des Jubiläums.
Vor 25 Jahren, am 1. Oktober 1955, wurde das Philips-Forschungslaboratorium in Aachen gegründet und wurde damit zum Mitglied einer Forschungsorganisation, deren Tradition bis auf das Jahr 1914 zurückgeht, als das erste Laboratorium in Eindhoven entstand.
Es bereicherte im Laufe der Zeit viele Gebiete der reinen und angewandten Wissenschaften und erwarb sich als »Naturkundig Laboratorium« einen Ruf in der wissenschaftlichen Welt.
Forschung ist die Grundlage für die Firmenentwicklung
Mit der verstärkten weltweiten Expansion des Unternehmens nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Forschung noch weiter ausgebaut, wobei es zur Gründung von Forschungslaboratorien in England, Frankreich, Belgien, den USA und Deutschland kam.
Die internationale Philips-Forschungsorganisation umfaßt heute insgesamt 4.000 Mitarbeiter, von denen rund 1.000 Wissenschaftler sind. Davon entfallen auf das Aachener Laboratorium z. Z. 314 Mitarbeiter, darunter 71 Wissenschaftler.
Philips wendet für seine gesamte Forschung in diesem Jahr etwa 400 Mio. Gulden auf, also etwa 1,2% des Gesamtumsatzes von über 33 Mrd. Gulden (für Forschung und Entwicklung zusammen ca. 7%).
Forschungsaufwendungen in dieser Größenordnung werden von einem Industrieunternehmen ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten getätigt, d. h. mit der Erwartung, daß die hervorgehenden Ergebnisse den Aufwand rechtfertigen und zur Weiterentwicklung und Stärkung des Unternehmens beitragen.
Das Forschungsprogramm ist abgestellt auf
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- • Erarbeitung von Konzepten für neue oder für die Verbesserung bestehender Produkte,
- • Erarbeitung neuer oder Verbesserung bestehender Technologien oder Materialien,
- • Absicherung der Ergebnisse durch Er-findungs- bzw. Patentanmeldungen,
- • Bereitstellung einer Know-how-Basis in den verschiedenen wissenschaftlichen Diziplinen für den gesamten Konzern.
- • Darüber hinaus verstehen sich die Laboratorien als ein »Fenster« zur wissenschaftlichen Welt, über welches neue, für den Konzern relevante Entwicklungen oder Erkenntnisse möglichst schnell der eigenen Organisation signalisiert werden sollten.
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Unter Forschung versteht man bei Philips die wissenschaftliche Bearbeitung von Frage- oder Problemstellungen, die ein Risiko in dem Sinne beinhalten, als nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, ob das erhoffte Resultat erreichbar ist.
Dies im Gegensatz zur Entwicklung, bei welcher im allgemeinen alle zur Erzielung eines bestimmten Ergebnisses benötigten wissenschaftlichen oder technologischen Voraussetzungen vorhanden sind, und es nur eine Frage von Manpower, Geld und Zeit ist, um das gewünschte Ziel zu erreichen.
Aus dieser Definition der Forschung ergibt sich zwangsläufig, daß ein erheblicher Teil aller unternommenen Forschungsprojekte mit einer negativen Aussage abschließt. Dabei ist »negativ« nicht im Sinne von »wertlos« zu interpretieren, im Gegenteil, eine wissenschaftlich fundierte Negativaussage kann von erheblichem Wert sein, nicht nur wegen des Zugewinns an wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern z. B. auch durch rechtzeitige Korrektur langfristiger Pläne. Vor diesem Hintergrund werden im folgenden einige Themen beleuchtet, die in der Gründungsphase im Aachener Laboratorium angesiedelt wurden.
Fortschritt basiert auf Wissen und Technologien
Die Erzeugung von Vakuum gehört zu den Basistechnologien von Philips. Sie wurde bei der Herstellung von Glühlampen erarbeitet und war eine der wichtigsten Voraussetzung für den späteren Einstieg des Unternehmens in die Herstellung von Radioröhren, Röntgenröhren bis hin zu den Bildröhren.
Die Ferrite, eine der wichtigsten Entdeckungen der Philips-Forschung in den 1940er Jahren, hatten sich bis zur Gründung des Aachener Labors bereits in verschiedenen Anwendungen durchgesetzt. In jüngerer Zeit untersuchte eine Aachener Gruppe mögliche Anwendungen im Bereich kleiner Elektromotoren, die in viele Haushaltsgeräte eingebaut werden und deshalb allein von der Zahl her gesehen für den Konzern ein wichtiges Bauteil darstellen.
Im Mittelpunkt des Interesses stand dabei das Konzept eines einfach aufgebauten Synchronmotors, dessen Rotor aus einem permanent- magnetischen Ferrit besteht. Die Einfachheit des Motors bedingt ein kompliziertes Bewegungsverhalten, welches aber vollständig geklärt werden konnte, wobei die dafür benutzte Computer-Simulation auch zur Optimierung des Motors für ganz bestimmte Anwendungen benutzt wurde.
Der Motor hat sich nunmehr bei mehreren kleinen Haushaltsgeräten durchgesetzt, und weitere Anwendungen in diesem Bereich sind zu erwarten. Aus den anderen in dieser Gruppe untersuchten Motorkonzeptionen gingen einige professionelle Anwendungen hervor, so z.B. hochtourige Hysteresemotoren für die Verwendung in Wendelwickelmaschinen, ein Linearmotor als Stellglied in 12-Punkt-Druckern sowie Motoren zur Lagestabilisierung des Astronomischen Niederländischen Satelliten (ANS). Unser technischer Fortschritt wurde in der Vergangenheit nicht allein von wissenschaftlichen Einsichten bestimmt, sondern in mindestens ebenso hohem Maße von der Verfügbarkeit neuer Technologien.
Der Stellenwert der Technologieforschung
Aus diesem Grunde wurde der Technologieforschung bei Philips stets ein hoher Stellenwert beigemessen und auch im Aachener Labor bereits bei seiner Gründung verankert. In einer technologisch orientierten Gruppe beschäftigte man sich z. B. mit dem Heißpressen hochschmelzender Materialien, mit dem Strangpressen von Glas sowie mit der Herstellung von Pyrographit und glasartigem Kohlenstoff, wobei insbesondere aus der letztgenannten Aktivität mehrere interessante Anwendungen hervorgingen.
Ein Folgeprogramm dieser Gruppe ist die chemische Gasphasenabscheidung, mit deren Hilfe u. a. Glasfasern für optische Telekommunikation hergestellt werden. Die Fertigung von Glasfasern nach diesem Verfahren ist inzwischen in einer Pilotproduktion aufgenommen worden.
Die Beschäftigung mit dem Konzept der selektiven Filterung führte zu verschiedenen praktischen Erfolgen. Auf der Basis hochdotierter Halbleiterschichten aus Zinnoxid und Indiumoxid wurden z.B. Wärmereflexionsfilter entwickelt, durch deren Einführung die Lichtausbeute von Natrium-Niederdruckdampflampen (SOX-Lampen) von ursprünglich etwa lOOlm/W auf nahezu 200 lm/W gesteigert werden konnte.
Es gibt immer neue Herausforderungen
Die meisten der hier genannten Themen sind inzwischen abgeschlossen, was angesichts der laufenden Anpassung des Programms an neue Herausforderungen verständlich ist.
Im Aachener Laboratorium wird heute im Bereich der Lichterzeugung an den Themengruppen thermische Strahlung, Hochdruckgasentladung sowie Elektrochemolumineszenz gearbeitet. Die Erfahrungen auf dem Gebiet der Lichterzeugung waren eine wesentliche Voraussetzung für die 1974 begonnenen Untersuchungen über »Rationelle Energieverwendung und Nutzung der Sonnenenergie in Gebäuden«.
Bereits 1964, während der Arbeiten an selektiv reflektierenden Schichten, wurden Vorschläge zur Verringerung des Wärmeüberganges bei Fenstern gemacht, die - wie Experimente zeigten - zu einer entscheidenden Verbesserung der Wärmeisolation führen können.
Des weiteren ließen sich diese Filter in Sonnenkollektoren zur Erhöhung des Wirkungsgrades verwenden. Eine weitere Entwicklung galt der Konzipierung transparenter, hochisolierender Wände mit außerordentlich niedrigen Wärmedurchgangszahlen (k «0,5 ... 0,7 W/m2K). Darüber hinaus werden Wärmepumpensysteme, die im Hausbereich eingesetzt werden können, theoretisch und experimentell untersucht.
Vom quantitativen zum qualitativen Wachstum
Das 25jährige Bestehen eines Labors ist nicht nur Grund für einen Rückblick, es fordert auch zu einem Ausblick heraus. Hierbei stellt sich im besonderen die Frage, welche Bedeutung die Industrieforschung in der Zukunft haben wird und welche Anforderungen auf sie in einem sich schnell verändernden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Umfeld zukommen werden.
Man ist sich heute weitgehend darüber einig, daß das industrielle Wachstum infolge verschiedener retardierender Einflüsse - auf die hier nicht näher eingegangen werden soll - langsamer verlaufen wird als bisher.
Es ist anzunehmen, daß in den Industriestaaten anstelle des quantitativen Wachstums ein zunehmend qualitatives Wachstum treten wird, wofür gerade die Mikroelektronik ein Paradebeispiel ist.
Die Industriestaaten werden auch in Zukunft darauf angewiesen sein, einen angemessenen Anteil insbesondere anspruchsvoller Produktion in ihren eigenen Ländern zu erhalten, um nicht die Grundlage für den weiteren technisch-wissenschaftlichen Fortschritt zu verlieren.
Es ist einsichtig, daß Forschung und Entwicklung (F & E) zur Erhaltung dieses Fortschritts und der Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Die relativen Aufwendungen für F & E müßten aus diesem Grunde eigentlich erhöht werden, während auf der anderen Seite die Basis für die Finanzierung dieser Aktivitäten immer schmaler wird.
Strategische Zielsetzungen bestimmen die Prioritäten
Einige Konsequenzen dieser Entwicklung lassen sich leicht aufzeigen. Die industrielle Forschung wird sich bei ihrer Programmgestaltung ausschließlich an den strategischen Zielsetzungen des Unternehmens, d. h. also an zukünftigen Produkten und Märkten, zu orientieren haben.
Dem Forschungsmanagement fällt die Aufgabe zu, in einem permanenten Dialog mit ihren Kollegen aus den Produktgruppen diese Ziele zu formulieren und daraus geeignete Forschungsprogramme abzuleiten. Da zu erwarten ist, daß die Zahl der für den Konzern relevanten Problemstellungen weit größer ist als die personellen und finanziellen Resourcen der Forschungsorganisation, wird dem Setzen von Prioritäten unter Anwendung geeigneter Auswahlkriterien eine noch höhere Bedeutung zukommen als bisher.
Die Zukunft offeriert unserem Unternehmen interessante Herausforderungen und Chancen auf vielen Gebieten, wie z. B.
• Mikroelektronik einschließlich ihrer vielfältigen Anwendung in Produkten und industriellen Prozessen,
• Informations- und Kommunikationssysteme,
• Systemforschung auf medizinischem und anderen professionellen Gebieten,
• Energietechnik und energiesparende Produkte.
Die Ziele unseres derzeitigen Forschungsprogramms lassen sich zum großen Teil in eine der obigen Kategorien einordnen und rechtfertigen sich aus der Bedeutung der von uns bereits eingenommenen Marktpositionen.
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Bild
Kugelförmige Hochdrucklampe (0 5 mm) umgeben von einem Glasgefäß.
Oberer Teil einer Ziehapparatur für Lichtleitfasern: der senkrechte Glasstab ist die Vorform, aus der die Faser mit konstanter
Geschwindigkeit bei 2000° gezogen wir